Das Ende der hübschen gelben Häuschen?

Im März 1992 erschien dieser Artikel in der Zeitschrift BZB Sachmagazin, einem der vielen Magazine zum Thema Bürokommunikation, an das sich heute kaum noch jemand erinnert. Unser Kunde Standard Elektrik Lorenz AG (heute Alcatel-Lucent Deutschland AG) beauftragte uns damit, mögliche Nutzer von Mobiltelefonie über die Vorzüge der D-Netze zu informieren. Heute klingt die Story, die ich zusammen mit meinem Kollegen Thomas Pleil geschrieben habe, schon sehr nostalgisch; mancher Leser weiß vermutlich nicht einmal, dass Telefonzellen früher postgelb lackiert waren.

 

Was Sie über die neuen Netze wissen müssen

Mobile Kommunikationsmittel sind zwar noch längst nicht in allen Autos, wohl aber in aller Munde. Dies liegt natürlich besonders an den hohen Erwartungen an die neuen digitalen Telefonnetze D1 und D2, die von der Telekom und ihrem privaten Konkurrenten Mannesmann Mobilfunk (Anm.: heute Vodafone) kräftig geschürt werden. Zugegebenermaßen: nicht ohne Grund. Denn die neuen Netze können mit einer besseren Übertragungsqualität, Internationalität und niedrigen Preisen und Gebühren aufwarten. Noch aber hat auch das C-Netz einige Vorteile.

Bevor 1986 das C-Netz für die mobile Kommunikation von der Deutschen Bundespost eröffnet wurde, war es ein Privileg weniger, ein Telefon im Auto zu besitzen. Dies änderte sich bald, die Zahl der Teilnehmer stieg rasant. Heute gibt es mehr als 550.000 Besitzer von Funktelefonen. Neue Technologien ermöglichten es, dass dieser Dienst stark ausgeweitet werden konnte. Die dadurch erreichten hohen Stückzahlen bei den Endgeräten ließen die Preise sinken. Ein mobiles Telefon für das C-Netz kostet derzeit zwischen 3.500 und 6.000 Mark. Und der Wunsch der Teilnehmer, ständig erreichbar zu sein, hält an. Die Telekom vergrößerte daher im letzten Jahr erneut die Netzkapazität von 600.000 auf 800.000 Teilnehmer.

Die Vorteile des C-Netzes sind vielfältig: So kann von fast allen Standorten in der Bundesrepublik jede beliebige Telefonnummer angewählt werden. Die Nutzer sind unter der bundesweit einheitlichen Vorwahl 0161 zu erreichen. Dabei ist unerheblich, wo sich der Teilnehmer gerade aufhält. Ein weiterer Vorteil ist das Telefonieren mit der Berechtigungs- bzw. Telekarte. Auf ihr sind die Funktelefonnummern und ein Kontrollcode gespeichert. Dadurch kann jedes fremde Mobiltelefon auf eigene Kosten benutzt werden. Ein wichtiges Argument, denn noch rasen die Gebühreneinheiten im Acht-Sekunden-Takt durch. Die monatlichen Grundgebühren hat die Telekom jedoch vor einem Jahr von 120 auf 75 Mark gesenkt.

Künftig zwei digitale Mobilfunknetze

Trotz Kapazitätsausweitung beim C-Netz: Weil immer mehr mobil erreichbar sein wollen, stößt das Netz sehr bald an seine (nun nicht mehr veränderbaren) Grenzen. Am 1. Juli letzten Jahres nahmen (auch) deshalb die beiden D-Netze ihren Probebetrieb auf, in Kürze werden sie der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Zwei Betreiber, die Deutsche Bundespost Telekom und das private Konsortium Mannesmann Mobilfunk, bieten mobiles Telefonieren in ihren digitalen Netzen an. Während bisher im C-Netz Fernsprechen und mit Hilfe eines Modems auch Faxen bedingt möglich war, sind in den späteren Ausbaustufen der D-Netze eine Reihe von weiteren Diensten für die Datenkommunikation vorgesehen. Das „mobile Büro“ soll durch Übertragungsmöglichkeiten großer Datenmengen, durch Zugang zu Btx und Teletex bald noch leistungsfähiger werden. Zunächst bieten die digitalen Netze jedoch dieselben Dienste wie das C-Netz an, die Sprachqualität ist allerdings bedeutend besser.

Entscheidender Vorteil der neuen Netze ist ihre Verfügbarkeit in ganz Europa. 24 Betreiber aus 17 Ländern haben sich hier auf den gemeinsamen technischen Standard GSM geeinigt. War mobiles Telefonieren bislang auf ein Land beschränkt, kann man künftig von Finnland bis Portugal und von Frankreich bis Griechenland vom selben Mobiltelefon aus kommunizieren. Auch von den osteuropäischen Ländern, die Mobilfunknetze aufbauen wollen, ist zu erwarten, dass sie sich dem GSM-Standard anschließen. Insgesamt haben schon jetzt mehr als 40 Staaten weltweit beschlossen, ebenfalls den GSM-Standard einzuführen.

Digitale Technik, die einen einfacheren Geräteaufbau ermöglicht, und Stückzahlen in Millionenhöhe sind Grundlage für die Schätzung, dass bis in drei bis vier Jahren Funktelefone zum Preis eines guten Autoradios angeboten werden. Bis zum Jahr 1995 soll sich die Zahl der Mobilfunk-Teilnehmer in Europa auf über zwölf Millionen vervierfachen. Drei bis vier Millionen mobile Telefone wird es dann allein in Deutschland geben.

Was kommt danach?

Und schon plant man für übermorgen. Vor wenigen Tagen hat der Bundespostminister bekanntgegeben, dass ein drittes Netz, das E1-Netz, entwickelt werden soll. Denn: Auch die Kapazität der D-Netze wird einmal erschöpft sein. Entwickelt sich digitales Telefonieren zu einem echten Massendienst, muss bald die neue PCN-Technologie (Anm.: PCN hieß später UMTS) zur Verfügung stehen. Im E1-Netz wird man mit höheren Frequenzen arbeiten. Dies macht allerdings kleinere Funkzellen notwendig, um genügend Teilnehmer unterbringen zu können. Insgesamt wird es aber beim GSM-Standard bleiben.

Sicher wird das mobile Telefon in den nächsten Jahren noch überwiegend geschäftlich genutzt werden – allerdings nicht nur vom Chef, sondern von allen Mitarbeitern, die viel unterwegs sind. Bis Ende des Jahrzehnts dürfte das Telefon jedoch zur Standardausstattung jedes neuen Autos gehören. Womöglich hat bis dahin sogar jeder Fußgänger sein Handtelefon in der Manteltasche. Für die hübschen kleinen gelben Häuschen wäre dies wohl das Ende. Schade oder?

20-Jahre-Sympra_110217_rz_Regular_kNachklapp: Die tatsächliche Entwicklung des Mobilfunks in Deutschland und anderen Ländern übertraf schließlich die optimistischsten Schätzungen der Experten. Bereits Ende 1995 telefonierten 3.764.000 Menschen mobil. Die Endgeräte lösten sich auch schnell vom Auto – das „Handy“ begann seinen Siegeszug. Heute bestehen in Deutschland mehr als 107 Millionen Mobilfunkverträge, 1,3 pro Einwohner.

Über den Verfasser

Veit Mathauer ist einer der beiden Geschäftsführer von Sympra. Wirtschaftswissenschaftler, Journalist, PR-Mensch, Boardmitglied im internationalen Public Relations Network (PRN) und Blogger. Ansonsten auch in den einschlägigen sozialen Netzwerken zu finden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert