Der Mut, neue Wege zu gehen: inspirierende Begegnungen in Kairo

kairo

Kairo ist die größte Stadt der arabischen Welt. In der Metropolregion am Nil leben mehr als 20 Millionen Menschen. Wo nicht Nil und Grün ist, da ist Wüste. Vielleicht ist deshalb alles von einem gelben Film überzogen – Bäume, Büsche, Mauern, Häuser? Ich habe die Stadt tatsächlich nur ausschnitthaft erlebt: Eine Stunde lang saß ich im Auto auf dem Weg vom Flughafen bis zum Hotel, zwei Tage bewegte ich mich im Stadtviertel Zamalek zu Fuß zwischen Hotel und Universitätscampus hin und her, dazu kam abschließend eine Stunde Autofahrt zurück zum Flughafen. Geografisch gesehen war mein Radius also extrem begrenzt. Was meinen Aufenthalt dennoch reich an Eindrücken machte, sind – natürlich – die vielen Gespräche.

Eigentlich sind es zunächst rein „dienstliche“ Gespräche. Sympra unterstützt den berufsbegleitenden Master-Studiengang „Internationales Bildungsmanagement“ (INEMA) der PH Ludwigsburg und der Helwan University in Kairo mit Kommunikationsarbeit. Dafür habe ich bei einer Studien-Präsenzwoche in den INEMA-Räumlichkeiten auf einem Nebencampus der Helwan University Interviews mit Alumni und Studierenden geführt. Warum haben sie sich ausgerechnet für INEMA entschieden? Wie erleben sie das Studium und die interkulturellen Herausforderungen? Was sind ihre beruflichen Ziele mithilfe von INEMA?

Berufsbegleitendes Studium zwischen Ludwigsburg und Kairo

Am Ende wurden daraus auch sehr persönliche Geschichten. Die vor allem deutschen und arabischen Studenten sind zwischen 26 und 53 Jahre alt. Für viele ist die Entscheidung für das berufsbegleitende Studium Teil einer wichtigen Transformationsphase. Es soll sie zu Managementtätigkeiten und Führungspositionen im Bildungssektor und in der Entwicklungszusammenarbeit befähigen. Alle haben bereits einen Universitätsabschluss und sind seit mindestens zwei Jahren berufstätig – die meisten bereits deutlich länger, viele arbeiten seit Jahren im Ausland.

Für alle ist es eine große Herausforderung, neben Job und Familie erneut zu studieren. Jeder bringt seinen kulturellen Kontext mit. Die einen gingen ganz selbstverständlich in Deutschland zur Schule und zur Universität, andere hatten schwierigere Bedingungen.  Eine Interviewpartnerin war zu Tränen gerührt, als sie den Bewerbungsprozess für INEMA beschrieb. Sie konnte es kaum glauben, dass sie ausschließlich für das, was sie selbst als Person mitbrachte, aufgenommen wurde – und nicht nur weil sie „jemanden kannte“. Insbesondere von den arabischen Studierenden wird INEMA als Chance wahrgenommen, einen Beitrag zur Verbesserung des Bildungssystems im eigenen Land zu leisten. Neuorientierung ist das große Stichwort. Trotz schwieriger politischer und gesellschaftlicher Situationen in der arabischen Welt ist die Motivation der Teilnehmer groß, im Rahmen ihrer Berufstätigkeit Nachhaltiges zu bewirken.

Auch ein Teil des Bildes: Verwahrlosung und Repressalien

Im Kontrast dazu wirken meine persönlichen Beobachtungen nach, ergänzt durch die Erzählungen der Dozenten und Studenten, die oft das Kairo vor und nach der Revolution vergleichen. Selbst im kosmopolitischen Stadtbezirk Zamalek (auch die „Nilinsel“ genannt), wo mein Hotel liegt, wirken die Straßenzüge verwahrlost. Morgens dösen auf den Müllbergen die Straßenkatzen und sonnen sich. Ich lese von den täglichen „Säuberungsaktionen” von Straßenhunden und -katzen mit Gift. Die Konsulate sind in Villen untergebracht, die hohe Mauern vor Anschlägen schützen sollen. Ich höre beim Frühstück von einem Gefängnis am Rande von Kairo, wo Menschen unter unwürdigsten Bedingungen untergebracht sind – Folter ist hier die Regel und keine Ausnahme. Kein leichtes Paket also, das ich aus Kairo wieder mit heimnehme. Irgendwie habe ich sehr wenig und doch wiederum sehr viel mitbekommen.

Zum Glück aber mit dabei: viele inspirierende Geschichten über den Mut, neue Wege zu gehen. Das deutsch-ägyptische Bildungsprogramm öffnet Türen zum gegenseitigen Verständnis. Mit Offenheit, Akzeptanz und Geduld ist viel möglich – trotz Ausweisung ausländischer NGOs und der Unterdrückung kritischer politischer Stimmen. Die INEMA-Studierenden wissen das bereits. Beeindruckend!

Bildquelle: Irene Lehmann  / pixelio.de

Wer führt hier eigentlich wen?

meerkat-255564_1920Schon heute – nicht erst morgen – sollten Führungskräfte ihre Haltung zur Macht hinterfragen und sich neuen Herausforderungen stellen. Man könnte meinen, schuld daran sei die „Generation Y“. Deren Vertreterinnen und Vertreter würden ja ihre Arbeitsbedingungen stets hinterfragen, unbedingt den Sinn hinter ihrem Tun suchen und sprunghaft den Arbeitgeber wechseln, wenn’s nicht passt. Doch das wäre zu simpel gedacht. Richtiger wäre zu sagen: Die Zeiten der Machtkonzentration bei der Führungselite sind einfach vorbei. Die Zukunft wird noch mehr Digitalisierung, noch mehr Entgrenzung und noch mehr Komplexität mit sich bringen. Daraus entstehen neue Bedürfnisse und neue Anforderungen an den Arbeitgeber. Wer also zukunftsfähig führen will, sollte sich jetzt und ernsthaft damit auseinandersetzen.

Prominente Führungskräfte plaudern aus dem Nähkästchen

Dieser Ansicht ist nicht nur die Initiative Zukunftsfähige Führung e.V. (IZF) – genauso schätzten es auch die Diskussionsteilnehmer bei der Veranstaltung „Macht – Führung – Spaß?“ am 9. November 2015 in der IHK Region Stuttgart ein. Sympra unterstützt die gemeinnützige Initiative pro bono bei ihrer Pressearbeit. Die IZF um Jörg Menno Harms, Aufsichtsratsvorsitzender der Hewlett Packard GmbH, hatte prominente Gäste geladen: Aus Düsseldorf reiste Prof. Dr. Miriam Meckel an, Chefredakteurin der Wirtschaftswoche, aus Karlsruhe Martin Hubschneider, Gründer und CEO der CAS Software AG, aus Stuttgart ergänzte Wilhelm Dresselhaus, Vorstandsvorsitzender der Alcatel-Lucent Deutschland AG, die Runde. Moderator war Tobias Leipprand, Geschäftsführer von LEAD, das Mercator Capacity Building Center for Leadership & Advocacy in Berlin.

Vom Speed-Networking auf’s offene Panel

Die eigentliche Diskussion begann schon viel früher. Zum Auftakt lud die IZF ihre Gäste im Foyer der IHK zum Speed-Networking ein. In Teams erarbeiteten die Teilnehmer in kurzen Austauschrunden Stellungnahmen zu neun Thesen aus den Themenbereichen Macht, Führung und Spaß. Darunter beispielsweise Aussagen wie: „Führung ohne Hierarchie ist möglich“, „Führungsverantwortung und Familie lassen sich nicht vereinbaren“ oder: „Nur wer Spaß an Führung hat, wird von den Geführten auch akzeptiert“. Ihre Positionen trugen die Teams im Plenum vor. Das innovative Konzept ging auf. Als die Kernveranstaltung in Saal 1 losging, waren die Geister und Gemüter bereits deutlich angeregt. Entsprechend gut funktioniert das Fishbowl-Setting, in dem die Diskussionsrunde zwischen Hubschneider, Dresselhaus und Meckel stattfand.

Und das ging so: Zwei rotierende Stühle auf dem sogenannten „offenen Panel“ durften im dynamischen Wechsel von Publikumsteilnehmern eingenommen werden. Wer wollte, setzte sich auf einen freien Stuhl, diskutierte mit oder äußerte Themenwünsche. Diese Möglichkeit wurde reichlich genutzt. Das Ergebnis war eine kreative, lebendige Mischung aus ethischen Grundsatzfragen, Einblicken in die eigene Führungspraxis und -haltung und humorvollen wie intelligenten Reaktionen auf die bohrenden Fragen von Moderator Leipprand.

Was sollten Führungskräfte von morgen also bedenken?

Was sind die großen Führungsherausforderungen der Zukunft? Hier eine kleine Auswahl der großen Fragen, die an diesem Abend im Raum standen:

  • Zunächst einmal: Nicht nur die „Generation Y“ (Jahrgang 1977 bis 1998) hat das Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit. Eine Umfrage im Saal zeigte, dass die Mehrheit im Publikum sich sinnvolles Arbeiten wünscht – und das Durchschnittsalter lag deutlich über 40. Wie kann ich also als Führungskraft motivieren? Wie kann ich meine Mitarbeiter in die Zielsetzungen des Unternehmens einbeziehen, sie an der Entwicklung der Organisation beteiligen – und auf diese Weise in ihrer individuellen Entwicklung fördern?
  • Gleichzeitig stellt die Digitalisierung eine Herausforderung dar. Während die junge Generation quasi mit dem Smartphone auf die Welt kommt, steht mancher älterer Mitarbeiter der Digitalisierung skeptisch gegenüber. Wie kann ich dann als Führungskraft mein Team aus Jung und Alt zusammenhalten? Wer trifft in Zukunft die Entscheidung – Maschinen oder Menschen? Mit Clickworking und Crowdsourcing verschwimmen auch die Organisationsgrenzen. Wer gehört noch zu meinem Unternehmen? Wer führt hier eigentlich wen?
  • Eins ist klar: So wie früher geht es nicht mehr weiter. Führungskräfte müssen sich neu aufstellen und dazu ihre Rolle immer wieder reflektieren. Doch was für eine Art von Führungsfigur bin ich überhaupt? Und was mache ich, wenn ich als Führungskraft nicht mehr weiter weiß?

Die Veranstaltung fand großen Anklang, der große Saal war gut gefüllt. Die Diskussion spiegelte nicht nur die hohe Komplexität des Themas wider, sondern auch die Offenheit und Nachdenklichkeit derjenigen, die heute führen und morgen führen werden. Die nächste Veranstaltung der IZF findet 2016 statt.

Was bewegt neue Mitarbeiter, bei Sympra anzufangen?

sympra_eingang_tor_548Eine gute Frage. Meine Entscheidung, das PR-Handwerk von Grund auf zu erlernen, erfolgte vergleichsweise spät. Ich bin 32 Jahre alt, und mein Studienabschluss liegt gut fünf Jahre zurück. Es gibt also gute Gründe, warum ich nun neue Mitarbeiterin bei Sympra bin – und auch, warum erst jetzt.

Nicht so einladend: theoretischer Erstkontakt mit PR

Mit dem Berufsfeld PR kam ich durch mein Studium der Kommunikationswissenschaft in Kontakt. Das blieb in meiner Wahrnehmung zunächst mit abstrakten Kommunikationsmodellen verknüpft. Oder mit wissenschaftlich-distanzierten Sätzen über eigentlich recht simple Sachverhalte. Nach dem sogenannten Intereffikationsmodell von Bentele, Liebert und Seeling (1997) zum Beispiel ist das Verhältnis zwischen PR-System und journalistischem System zu begreifen “als komplexes Verhältnis eines gegenseitig vorhandenen Einflusses, einer gegenseitigen Orientierung und einer gegenseitigen Abhängigkeit zwischen zwei relativ autonomen Systemen”. Ach so. Hier noch ein Einblick in meine Lernunterlagen über die PR für die Abschlussprüfung:

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Ich habe übrigens im Laufe des Studiums zwei PR-Praktika durchlaufen. Beide Hospitationen waren wirklich gut, aber ich war damals noch nicht soweit. Für mich kam das Berufsfeld Öffentlichkeitsarbeit überhaupt nicht in Frage. Die Relevanz war mir nicht klar. Wozu der ganze Mist, äh, Aufwand?

Aha-Erlebnis Kundenperspektive

Ganz klar: Nach dem Studium war es wichtig, erst einmal einen „Cut“ zu machen, nach jahrelangem Hospitieren und freier Mitarbeit im Medienbereich. Eine Überdosis Medienwelt tut nicht gut. In der Gesundheitswissenschaft habe ich dann endlich mein ganz persönliches Thema gefunden – unabhängig von journalistischen Verwertungsmöglichkeiten. Das war wichtig, um frei zu werden von der permanenten Kommunikationsperspektive. Der „Weg zurück“ erfolgte ungewollt-zufällig durch meine Mitarbeit in einem Forschungsprojekt am Universitätsklinikum Tübingen.

Ich war daran beteiligt, eine Onlineberatungsplattform für alkohol- und tabakkonsumierende Schwangere aufzubauen. Die Implementierung erfolgte durch eine Kommunikationsagentur, deren Arbeit ich hautnah miterlebte und von Anfang an faszinierend fand. Die Unterstützung der PR-Fachleute war dringend nötig und mehr davon wäre nützlich gewesen – aus Budgetgründen mussten wir Laien jedoch einen Großteil der zahlreichen Kommunikationsherausforderungen allein lösen. Wie ein Anfänger kam ich mir dann auch vor. Ich wurde unter anderem dazu auserkoren, die Öffentlichkeitsarbeit zu machen. Aber wie geht das eigentlich genau? Also, ich meine: nicht nur „aus dem Bauch heraus“, sondern mit Know-How und Strategie?

Wie kann es sein, dass wir uns so anstrengen müssen?

Da wurde mir erst bewusst, wie wenig es nützt, ein sinnvolles Produkt zu haben, wenn es nicht zielgruppengerecht präsentiert wird. Welche Mischung aus Botschaften ist notwendig, damit sich eine Frau mit dem Tabuthema Suchtmittelkonsum in der Schwangerschaft konfrontiert? Wie können wir ein Beratungsprogramm gestalten, dass Teilnehmerinnen jeglichen sozialen Hintergrunds zwölf Wochen lang dranbleiben? Wie können wir ein Netzwerk aus Pressevertretern, Ärzten, Hebammen, Beratungsstellen und Gesundheitsämtern aufbauen und am Leben halten, um das Programm publik zu machen? Wie kann es sein, dass wir da sowas Tolles machen – und uns so ungemein anstrengen müssen, damit es genutzt wird?

Erst professionell eingesetzte Kommunikation ermöglicht, dass großartige Projekte und Produkte bekannt werden und gesellschaftlichen Einfluss gewinnen. Wie viel Wichtiges bekommen wir gar nicht mit, weil es zu komplex ist und fähiges Personal fehlt, um es wirksam zu kommunizieren? Genau das wollte ich lernen, seitdem ich mich als Kunde in meinen Kompetenzen so stark begrenzt gefühlt hatte. Die Suche nach der passenden Agentur dauerte nicht lange. Bei Sympra ist es für mich nicht nur möglich, das PR-Handwerk über erklärungsintensive Themen zu erlernen, sondern auch, das Traineeship in Teilzeit zu durchlaufen. So kann ich parallel meine Doktorarbeit fertigstellen und meine Netzwerke im Wissenschaftsbereich halten und erweitern. Von Anfang an – selbst im Vorstellungsgespräch – fühlte ich mich wohl im Kontakt mit Geschäftsführung und MitarbeiterInnen. Hier weht ein anderer Wind, dachte ich. Kommuniziert wird nicht nur für den Kunden, sondern auch miteinander! Da kann nur Gutes bei rumkommen, dachte ich. Mal sehen, was die noch vor mir liegenden Trainee-Monate an lehrreichen Erfahrungen bringen werden. Auf jeden Fall freue ich mich, nun wieder zurück auf die Kommunikatorenseite zu wechseln und die Herausforderungen in der PR-Beratung kennen lernen zu dürfen.

Wissenschaft auf Tuchfühlung: Meine Doktorarbeit über Frauen mit problematischer Internetnutzung

Digital Victim

Ich wurde gebeten, über meine Dissertation zu schreiben. Das freut mich sehr, denn ich könnte ewig darüber reden. Das Thema ist wirklich eine Herzensangelegenheit von mir und gleichzeitig wissenschaftlich und gesellschaftspolitisch hoch relevant. Ganz wichtig war mir, dass es eine Forschung auf Augenhöhe sein soll mit denjenigen, die darin erforscht werden. Keine Wissenschaft aus der Distanz oder mit dem Ziel, vorgefertigte Hypothesen zu überprüfen. Betroffene Frauen selbst kommen in meiner sozialwissenschaftlich-qualitativen Interviewstudie vorrangig und ausführlich zu Wort: Wie definiert, erlebt und bewältigt jede einzelne Frau ihre problematische Internetnutzung? Was ist die jeweilige Lebensgeschichte dahinter?

Tatsächlich können auch Frauen von problematischer bis hin zu süchtiger Mediennutzung betroffen sein. Seit Mitte der 1990er Jahre forschen vor allem Psychologen und Psychiater zu einem Phänomen, das je nach Position und Hintergrund z.B. Internetsucht genannt wird oder exzessive Internetnutzung oder problematische Internetnutzung etc. Dabei standen bisher in der Forschung vor allem männliche Betroffene im Vordergrund. Internetsucht sei ein Männerproblem, so die Wissenschaftler, denn die würden ja in den Umfragen viel häufiger als internetsüchtig diagnositiziert. Dass nun auch weibliche Betroffene in den Blickpunkt rücken, ist in Deutschland vor allem der repräsentativen PINTA-Studie (2013) zu verdanken.

Besonders in jungen Altersgruppen wurden in dieser Studie überraschend viele der befragten Mädchen und Frauen als internetsüchtig diagnostiziert. In der Altersgruppe 14-16 Jahre sogar im Verhältnis 4,9% betroffene Mädchen versus 3,1 % betroffene Jungs. Nun stehen wir erst einmal ziemlich ratlos da, denn über Frauen weiß man ziemlich wenig. In den Mediensuchtberatungsstellen erscheinen weibliche Betroffene bisher so gut wie gar nicht. Gleichzeitig kursieren bereits erstaunlich viele Zuschreibungen und Annahmen. Zum Beispiel: Frauen hätten vor allem ein Problem mit sozialen Netzwerken. Darum müssten wir mehr Hilfsangebote mit Bezug auf Facebook & Co. anbieten. Aber ob das wirklich „der Punkt“ ist? Geht es hier um das Internet an sich, oder geht es hier um die Frau?

Für mich ist der biografische Bezug in meiner Forschungsarbeit zentral. Ich habe bisher mit ca. 20 Frauen bis zu dreistündige biografische Interviews geführt (hinzu kommen noch ca. 20 Experten). Dabei ist die gesamte Bandbreite von „normalem“ bis hin zu „süchtigem“ Internetgebrauch vorhanden – und zwar nach persönlicher Einschätzung der jeweiligen Interviewpartnerin. Genauso wie verschiedene Altersgruppen und Bildungshintergründe und Wohn- und Lebenssituationen. Gefunden habe ich meine Gesprächspartnerinnen über die Kombination diverser Rekrutierungsstrategien. Oder vielleicht haben sie eher auch mich gefunden. Ich hatte großes Glück, denn es gab erstaunlich viele, die bereit waren, mit mir ihre Lebens- und Leidensgeschichte zu teilen. Dazu bin ich, mit dem Reisekostenzuschuss einer Stiftung ausgestattet, immer wieder quer durch Deutschland gereist (mit einem erstaunlichen Händchen dafür, meine Termine immer wieder in die Bahnstreikphasen zu legen), um auskunftswillige Frauen in Cafés, in ihren Wohnzimmern, im geschützten Rahmen ihrer Selbsthilfekontaktstelle oder Suchtberatungsstelle zu treffen.

Jedes Interview war für mich ein Highlight. Wenn Menschen den Raum bekommen, um von ihrem Leben zu erzählen, dann entsteht etwas ganz Großes. In perfekt unvollkommenen Worten und mit ganz viel Mut zur Selbstkonfrontation haben meine Interviewpartnerinnen ausgedrückt, was letztendlich für alle Menschen im Leben essentiell ist. Bei ihnen spielt das Internet dabei eine Rolle, wenn auch nicht unbedingt eine entscheidende.

Die eigentliche Mammutaufgabe steht mir jetzt bevor: die Interviewtranskripte mit genauso viel Respekt und Offenheit auszuwerten, wie ich auch versucht habe, die Gespräche zu führen. Dazu werde ich vermutlich nach dem Ansatz der Grounded Theory vorgehen. Eine Herausforderung wird zudem sein, den interdisziplinären Spagat zwischen traditioneller Suchtforschung und der Soziologie zu bewältigen. Denn meine Dissertation wird zum einen von Prof. Dr. Anil Batra, Leiter der Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung am Universitätsklinikum Tübingen, als auch von Prof. Dr. Jörg Strübing am Soziologischen Institut der Eberhard Karls Universität Tübingen betreut. Aber da taste ich mich Schritt für Schritt heran. Mit Druck und Verbissenheit geht sowieso gar nichts. Dazu ist der Forschungsgegenstand einfach zu komplex und uneindeutig. Dennoch habe ich natürlich einen Zeitplan, den ich erfüllen möchte. 2017 soll die Arbeit fertig sein. Bis dahin gibt es noch viel zu tun…

Bild: © StefanFotografie